
GESUNDHEIT – In Hohenstein lehrt ein Schulmediziner die esoterische Kunst des Handauflegens. Besuch in einem Kurs.
HOHENSTEIN. Zuerst wird’s warm. Wo die Hände liegen, direkt unter dem Rippenbogen, wächst ein wohliges Gefühl. Und wenig später fängt auch schon der Magen an zu grummeln, nicht hungrig, sondern ganz zufrieden. Zum Glück ist mein Bauch nicht der einzige im Raum, der solcherart Entspannung signalisiert.
Was in den Körper der Frauen und (wenigen) Männern vor sich geht, die sich im Port Gesundheitszentrum in Bernloch zu diesem Kursabend getroffen haben, kann Dr. Wieland Gauß ziemlich detailliert beschreiben. Der Atem wird ruhiger und tiefer, Wärme breitet sich aus, der Puls verlangsamt sich. Manche fühlen auch ein Kribbeln. Alles Anzeichen dafür, dass es wirkt – das Handauflegen. “Die Heilende Kraft der Hände”, wie dieser Abend überschrieben ist, erspürt jeder erst mal bei sich selbst.
Mehrfach schon hat Gauß diesen Kurs in Hohenstein angeboten, als Teil der von der Abteilung Gesundheitsplanung im Kreisgesundheitsamt organisierten Veranstaltungsreihe “Gesundheit & Mehr”. Immer waren die Abende ausgebucht. Offenbar wollen viele Leute lernen, sich etwas Gutes zu tun, sich zu entspannen, vielleicht sogar ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Denn das verspricht Wieland Gauß denjenigen, die sich regelmäßig und konsequent im Handauflegen üben.
Gauß ist ein Grenzgänger. Von Haus aus Schulmediziner und aktuell beim Kreisgesundheitsamt beschäftigt, pflegt er seit seiner Jugend Kontakt zu Meditation und östlicher Spiritualität. Für ihn kein Widerspruch, sondern eine sinnvolle Ergänzung. “Ich bin kein Gegner der Schulmedizin, kann ich auch gar nicht sein als Arzt”. Gauß ist aber davon überzeugt, “dass es nur dann zu vollständiger Heilung kommen kann, wenn wir uns eigenverantwortlich um unseren Körper und unseren Geist kümmern”. Also nicht nur den Arzt machen lassen, sondern die eigene Gesundheitsfürsorge selbst in die Hand nehmen. Und das auch ganz buchstäblich. Denn die Hände – das erklärt Wieland Gauß seinen Zuhörern in einem kurzen Vortrag – sind nicht nur Werkzeug, sondern auch Sinnesorgan, ausgestattet mit einer Fülle an Rezeptoren, die feinste Berührungsreize erfühlen. “Wir können über die Hände Dinge wahrnehmen, die wir über andere Organe gar nicht spüren würden”. Andererseits setzt die Berührung der Hände selbst Dinge in Gang, die mehr sind als ein subjektives Gefühl. Auch darum geht es Gauß in seinem Vortrag über die heilende Kraft der Hände: physiologische Zusammenhänge aufzuzeigen, “die erklären können, warum Handauflegen wirkt”. Mit diesem wissenschaftlichen Ansatz hofft Gaus auch denjenigen den Zugang zu erleichtern, die “reservierter sind gegenüber spirituellen Sichtweisen”.
Die warmen Hände auf dem Bauch kurbeln den Parasympathikus an, einen wichtigen Teil des vegetativen Nervensystems, der in Ruhe- und Erholungsphasen aktiv wird, immer dann, wenn wir uns “geschützt, geborgen, erholt” fühlen, wie Wieland Gauß erklärt. Puls und Atmung werden ruhiger, die Verdauung wird angeregt (aha, daher das Grummeln). Außerdem wird Oxytocin ausgeschüttet, das sogenannte Kuschel- oder Bindungshormon, das seine Wirkung am besten entfaltet, wenn es im Körper und seinen verschiedenen Organen reichlich Rezeptoren dafür gibt. Deren Anzahl lasse sich durchs Handauflegen beeinflussen, spricht Gauß von seinem “Trainingseffekt”: Wer sich täglich und regelmäßig darum kümmert, Oxytocin-Rezeptoren zu entwickeln, der spüre die entspannende Wirkung deutlich stärker.
Einen Anfang machen die Kursteilnehmer im Gesundheitszentrum gleich an Ort und Stelle. Die Hände auf dem Bauch, die Hände über Herz und Lunge, die Hände am Kopf: jeweils fünf Minuten lang, um die Wirkung zu verstärken. Auch wenn die Übung beendet ist, hält die Wärme an der behandelten Stelle noch eine ganze Weile an – ein paar Oxytocin-Rezeptoren sollten sich jetzt doch gebildet haben. “Sie werden aber auch ganz schnell wieder abgebaut”, dämpft Gauß zu hohe Erwartungen: denn alles, was den Menschen “draus” bringt, setzt auch den Glückshormon-Rezeptoren zu.
Ab April können sich alle, die regelmäßig ihre Oxytocin-Rezeptoren trainieren, Erfahrungen im Handauflegen sammeln und austauschen wollen, einmal im Monat immer am ersten Mittwoch im Port Gesundheitszentrum treffen. Wer noch mehr wissen will, der kann bei Wieland Gauß in seinem Ohmenhäuser Seminarzentrum einen Reiki-Wochenendkurs buchen oder sein Buch “Heilen durch Handauflegen” erwerben – auch diesen Werbeblock schiebt der Referent in seinem Vortrag ein. Reiki, die aus Japan stammende “Energiearbeit” durch Handauflegen, hat Gauß erst 2018 für sich entdeckt, für ihn die “Quintessenz” dessen, was ihm während seiner Laufbahn wichtig geworden ist.
Als Heiler fühlen sollen sich die Kursteilnehmer aber nicht. Es gehe nicht darum, jetzt “missionarisch” jedermann die Hände aufzulegen, bremst Wieland Gauß zum Abschluss möglichen Übereifer. Jeder soll für sich alleine üben, zum Beispiel Abends im Bett, um leichter einschlafen zu können. Das klappt aber auch nicht immer. (GEA)