Reiki Interview: So heilsam kann Berührung sein

Auszug: Reiki Magazin 3/2021: Im Interview mit Oliver Klatt erläutert Dr. med. Wieland Gauß ausgiebig wissenschaftliche Erkenntnisse zu den physiologischen Zusammenhängen rund um’s Handauflegen. Dabei gibt er spannende Einblicke in sein Buch „Heilen durch Handauflegen“.

Reiki Magazin: Im Interview mit Oliver Klatt

In ihrem 2020 erschienen Buch „Heilen durch Handauflegen“ geben die Autoren Uwe Alexander Goller und Dr. med. Wieland Gauß eine Menge gute Gründe dafür, sich selbst und anderen die Hände aufzulegen. Oliver Klatt sprach mit Wieland Gauß über wissenschaftliche Erkenntnisse rund um’s Handauflegen.

Oliver Klatt: Wieland, du bist Arzt und Reiki-Anwender, derzeit bist du beruflich als ärztlicher Gutachter in einem Schwerpunktsgesundheitsamt in Reutlingen tätig. In eurem Buch hast du vor allem den Part übernommen, über wissenschaftliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Handauflegen zu informieren. Welche rein physiologischen Zusammenhänge bestehen denn dabei?

Wieland Gauß: Mit diesem Buch haben Uwe Goller und ich die Grundlagen zusammengetragen, um die elementare Behandlungsform des Handauflegens für eine breitere Bevölkerungsschicht zugänglich und nachvollziehbar zu machen. Als Mediziner war es mir dabei wichtig, auch die wissenschaftlichen Aspekte anschaulich zu beschreiben, mit dem Ziel, ein Verständnis für die physiologischen Prozesse beim Handauflegen zu vermitteln. Erfahrungsgemäß trägt die Beschäftigung mit diesen sachlich-nüchternen Zusammenhängen zu einer Entmystifizierung bei. So können bei Menschen, die solchen Themen gegenüber eher reserviert eingestellt sind, Bedenken ausgeräumt werden, und die Schwelle, sich darauf einzulassen, wird abgesenkt. Beim Handauflegen beispielsweise kann die Wahrnehmung von Wärme durch die zunehmende Durchblutung der Hände eine Bestätigung für die Wirksamkeit der Methode signalisieren und so einen motivierenden Effekt haben. Tatsächlich besteht die Wirkung des Handauflegens auf die physiologischen Abläufe im Körper vor allem in der Steigerung des parasympathischen Nervensystems. Die Stärkung dieses autonomen „Ruhe- und Erholungsnervs“ bewirkt, dass der gesamte Organismus auf Entspannung, Regeneration und die Reparatur von beschädigten Strukturen schaltet. Dies wird über verschiedene Organsysteme und durch mehrere Mechanismen bewerkstelligt.

Oliver Klatt: Welche Organsysteme sind denn alle beteiligt, beim Handauflegen?

Wieland Gauß: In dem Buch haben wir fünf Organsysteme genauer unter die Lupe genommen: die Hände, das Hormonsystem, das zentrale und das autonome Nervensystem, das Herz-Kreislauf-System und den Bauch, mit dem enterischen Nervensystem in der Darmwand. Im Zusammenhang mit den Studien über den Parasympathikus wird auch gerne die Lunge untersucht – die parasympathische Wirkung drückt sich auch durch eine Verlangsamung der Atmung und durch tiefere Atemzüge aus, was sich leicht messen lässt.

Oliver Klatt: Die Hände sind wahre Wunderwerke des menschlichen Körpers. Was gibt es aus wissenschaftlicher Sicht über sie zu sagen?

Wieland Gauß: Entwicklungsgeschichtlich sind ja unsere „Vorderfüße“ durch den zweibeinigen Gang frei geworden, sodass sich unsere Hände über die Jahrmillionen zu hochdifferenzierten Werkzeugen ausgebildet haben. Parallel dazu hat sich ein extrem dichtes Netz von Nervenzellen in den Handflächen und den Fingern ausgebildet. Im menschlichen Körper ist die Sensorendichte in der Zungenspitze und in unseren Fingerkuppen am höchsten. Auch in den entsprechenden Gehirnarealen lassen sich große Bereiche für die Informationsverarbeitung wie auch für die Steuerung der Fingermotorik nachweisen.

Oliver Klatt: Es heißt, das Hormon Oxytocin spiele eine besondere Rolle beim Handauflegen. Was kannst du dazu sagen?

Wieland Gauß: Zu meiner Studienzeit haben wir noch gelernt, dass Oxytocin hauptsächlich für die Einleitung der Geburt und den Milcheinschuss relevant ist. Erst später hat sich herausgestellt, dass es als Hormon auch direkt das parasympathische Nervensystem steuert. Dabei hat es die Aufgabe des Gegenspielers der Stresshormone, die heute in unserer leistungsorientierten Kultur leider übermäßig und dauerhaft stimuliert sind und die für die Zunahme der Zivilisationskrankheiten verantwortlich sind. Interessant ist dabei, dass Oxytocin als Hormon – anders als andere Hormone – nicht direkt durch eine höhere oder niedrigere Konzentration im Blut wirkt. Vielmehr ist die Wirkung auf ein Organ umso höher, je höher die Anzahl der Rezeptoren dieses Organs ist. Dadurch erklärt sich, dass seine Wirkung durch einen „Lerneffekt“ gesteigert werden kann, indem durch das Vorhandensein des Hormons über einen längeren Zeitraum die Anzahl der Andockstellen an den Zellen des Organs erhöht wird. Dieser Steigerungseffekt lässt sich direkt beim Handauflegen erfahren, wenn wir es über mehrere Wochen täglich anwenden und die Wirksamkeit dabei für uns spürbar zunimmt.

Oliver Klatt: Unser Bauchgefühl spielt bei vielen Aktivitäten eine besondere Rolle, so auch bei wichtigen Entscheidungsprozessen. Was hat das Bauchgefühl eigentlich, wissenschaftlich betrachtet, mit unserem Bauch zu tun?

Wieland Gauß: In einigen Publikationen der letzten Jahrzehnte wurde eine Art zweites Gehirn postuliert, das im Bauch lokalisiert sei. Hintergrund für diese Veröffentlichungen ist die Erkenntnis, dass die Nervenzellen der Darmwand in der Anzahl, dem Aufbau und der Struktur durchaus mit dem Gehirn vergleichbar sind und sie deshalb als ein eigenständiges, autonomes System anzusehen sind. Daher wird es heutzutage als „enterisches Nervensystem“ und umgangssprachlich als zweites Gehirn bezeichnet. Es verrichtet seine Aufgaben weitgehend unabhängig vom Kopfgehirn und hat zweifellos die Kapazität, ähnlich wie das Kopfgehirn zusätzliche Informationen abzuspeichern, die über die originäre Aufgabe der Steuerung der Verdauung hinaus gehen. Diese Entdeckung legt analog der persönlichen Erfahrungen nahe, dass dort möglicherweise auch Erlebnisse und Erinnerungen abgespeichert werden, die dann als Intuition oder eben als „Bauchgefühl“ wieder abgerufen werden können. Beweisen lässt sich so etwas rein wissenschaftlich bisher nicht. Dennoch halten wir diese Erkenntnis für so wertvoll, dass wir sie in dem Buch erwähnt haben, weil sie eine gute Erklärung für die häufig berichteten Empfindungen beim Handauflegen im Bereich des Bauches bieten. Diese Zusammenhänge weisen darauf hin, dass sich viele Facetten des Handauflegens wissenschaftlich durchaus erklären lassen, andere Details jedoch bisher noch nicht. Durch die Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen wird nachvollziehbar, dass diese Behandlungsform eine leicht zugängliche Methode ist, mit deren Hilfe wir unsere Ressourcen erschließen und die Regenerations- und Selbstheilungsprozesse im Körper verstärken können. In jedem Fall kann uns die wissenschaftliche Betrachtungsweise anspornen, das Handauflegen zum eigenen Nutzen und zum Wohle Anderer regelmäßig anzuwenden.

Oliver Klatt: Danke für das Interview.

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